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Online-Katalog

Auktion 22. Juni 2022 – Moderne und Zeitgenössische Kunst
Provenienz

Sammlung Dowdeswell, London (1890–1912)
Sammlung Eduard Sturzenegger, St. Gallen (1912)
Privatbesitz, Schweiz (durch Erbschaft an die heutigen Besitzer)

Literatur

Art Journal, 1890, S.160.
Emporium, 1898, Bd. III, S.167, Nr. 15.
Primo Levi, Il primo e il Secondo Segantini, in Rivista d’Italia III, 1899, o. S.
Franz Servaes, Giovanni Segantini, Sein Leben und sein Werk, Wien, 1902, Nr. 60.
Nino Barbantini, Giovanni Segantini, Venedig, 1945, o. S.
Gottardo Segantini, Giovanni Segantini, Zürich, 1949, o. S.
Giorgio Nicodemi, Giovanni Segantini, Mailand, 1956, o. S.
Maria Christina Gozzoli, L’opera completa di Segantini, Mailand, 1973, Nr. 218.
Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft (Hrsg.), Die Welt des Giovanni Segantini, Zürich, 1976, S. 51, mit Abb.
Annie-Paule Quinsac, Segantini, Catalogo generale, Mailand, 1986, S. 272, Nr. 354, mit Abb.
Kunsthaus Zürich (Hrsg.), Segantini, Zürich, 1990, S. 126, Nr. 57, mit Abb.
Beat Stutzer und Roland Wäspe, Armonia della vita, armonia della morte, St. Gallen, 1999, Nr. 11, mit Abb.

Ausstellung

Ausstellung Giovanni Segantini, St. Gallen, Kunstmuseum, 1956.
Giovanni Segantini, Zürich, Kunsthaus, 9.11.1990–3.2.1991, Kat. Nr. 57.
Giovanni Segantini, Wien, Belvedere, 1991, o. Nr.
Armonia della vita, armonia della morte, St. Gallen, Kunstmuseum, 1999, Nr. 11.
La Luce Alpina, St. Gallen, Kunstmuseum, 28.9.–11.12.2019, o. Nr.

Giovanni Segantini in Savognin
Nach einer schwierigen und entbehrungsreichen Kindheit wurde Segantini bereits als junger Maler als Ausnahmetalent entdeckt und feierte früh seine ersten grossen Erfolge, sein Abschlusswerk an der Akademie wurde vom italienischen Staat angekauft. Der Künstler malte in dieser Zeit im virtuosen Stil der Scapigliatura und bewegte sich im Umfeld der Künstler dieser Bewegung. Seine malerische Reife und Einzigartigkeit erreichte er jedoch erst mit seinem Umzug nach Graubünden.

Im August 1886 liess sich Segantini mit seiner Familie in Savognin, damals noch ein kleines Bauerndorf im Oberalpstein, nieder. Nach einer längeren Zeit der Unstetigkeit fand er hier Sicherheit und Ruhe für sich und seine Familie. Die unberührte, atemberaubende Landschaft, das intensive, klare Alpenlicht liessen Segantini aufleben, und in Verbindung mit dem legendären Besuch Vittorio Grubicis im Bergdorf überdachte er seine Malweise komplett. Grubici brachte ihn mit den neusten Erkenntnissen der Postimpressionisten in Verbindung und Segantini entwickelte in dieser Zeit seine eigene Form des Divisionismus, eine aufwändige Malweise, bei welcher Strich neben Strich gesetzt wird und sich die Farbe erst auf Distanz im Auge des Betrachters vermischt. Der Künstler blieb acht Jahre in Savognin, und einige seiner wichtigsten Werke sind dort entstanden.

Il reddito del pastore
Im einfachen Leben der Dorfbewohner Savognins fand er die Verbindung zur Natur und den Tieren wieder, die ihn schon früher in den Brianza-Jahren faszinierte und dort sein Hauptthema war. Auch reddito del pastore als Thematik beschäftigte Segantini bereits in seiner Brianza-Zeit. Vom vorliegenden Werk gibt es drei Fassungen von 1883 und 1884, zwei davon sind verschollen, die dritte hängt im Gemeentemuseum in Den Haag. Sowohl sein Sohn Gottardo als auch Annie Paule Quinsac schreiben zu unserem Bild, dass der Maler es früher begonnen, in Savognin jedoch komplett überarbeitet und in seiner neuen Technik des Divisionismus reininterpretiert hat. Die Thematik der Schafschur, die dem Künstler in Italien lieb und wichtig war, kam in Savognin plötzlich zu ungeahnter Aktualität. Im Oberalpstein gilt seit Urzeiten die Savogniner Schafschur zu den grossen alljährlichen Ereignissen, und bis heute wird der Abzug der Schafe von der Alp und ihre anschliessende Schur mit einem grossen Fest gefeiert. Die Hingabe des Hirten wird in eindrücklicher Weise gezeigt, der Ausdruck des Schafs ist von fast hyperrealistischer Übersteigerung und wird zum Sinnbild für das symbiotische Verhältnis von Mensch und Tier. Unser Gemälde ist Ausgangspunkt für eine ganze Anzahl von Werken, welche die Bauern bei ihrer täglichen Arbeit im Umfeld eines Hofes zeigt und für Segantinis Savogniner Zeit typisch ist.

Il reddito del pastore und Ave Maria a trasbordo
Wie Il reddito del pastore war auch das zweite Hauptwerk von Segantinis erstem Jahr in Savognin, das berühmte Ave Maria a trasbordo, die Wiederaufnahme eines Motivs aus der italienischen Zeit. Bei beiden Gemälden identisch werden die Gesichter noch traditionell ausgeführt, während die Umgebung in seiner neuen Malweise in kurzen Pinselstrichen und leuchtenden Farben gemalt ist. Auf diese Weise bekommt das Licht in den Werken eine komplett neue Bedeutung. Identisch in beiden Gemälden ist auch die Ansicht auf die Hauptfiguren hinter den Schafen. Segantini stellt aber nicht nur eine ländliche Genre-Wirklichkeit dar, sondern entwickelt sich in dieser Zeit ebenfalls zu einem der Hauptvertreter des Symbolismus. Wird die Mutter mit Kind zum Ave Maria, zum Sinnbild abendlicher Andacht und Mutterschaft, so kann der Hirte in unserem Gemälde genauso mit dem guten Hirten gleichgesetzt werden. Die beiden Schlüsselwerke spiegeln sehr schön die Dualität von Mutterschaft und Vaterschaft wider.

Der Sammler Eduard Sturzenegger
Eduard Sturzenegger (1854–1932) war einer der erfolgreichsten St. Galler Stickerei-Unternehmer. Nach bescheidenen Anfängen wurden die Broderies Sturzenegger mit grossen und sehr edel ausgestatten Verkaufsflächen, etwa in Zürich, Basel, Genf, St. Moritz, später dann auch in internationalen Grossstädten, zum Inbegriff für höchste textile Qualität. Ab 1903 begann Eduard Sturzenegger mit dem Aufbau einer Kunstsammlung, die zu einer der wichtigsten der Schweiz werden sollte und aus welcher 1930 168 Gemälde als Schenkung ans Kunstmuseum St. Gallen gingen. Dazu gehören bedeutende Werke von Pissarro oder Signac ebenso wie eine Gruppe von Spitzweg oder Feuerbach, die bis heute einen wichtigen Grundstock der Sammlung bilden. Ein kleiner Teil der Bilder verblieb nach Sturzeneggers Tod in Familienbesitz, so auch das Gemälde Il reddito del pastore.
Online-Katalog Auktion 22. Juni 2022 – Moderne und Zeitgenössische Kunst Los 1 Giovanni Segantini 1858–1899

Il reddito del pastore, "Der Ertrag des Hirten", 1883/86
Öl auf Leinwand
unten rechts signiert und datiert G Segantini 1886
54,2 x 82,8 cm

Schätzpreis

CHF 800'000 – 1'200'000

Verkauft für

CHF 902'966

Provenienz

Sammlung Dowdeswell, London (1890–1912)
Sammlung Eduard Sturzenegger, St. Gallen (1912)
Privatbesitz, Schweiz (durch Erbschaft an die heutigen Besitzer)

Literatur

Art Journal, 1890, S.160.
Emporium, 1898, Bd. III, S.167, Nr. 15.
Primo Levi, Il primo e il Secondo Segantini, in Rivista d’Italia III, 1899, o. S.
Franz Servaes, Giovanni Segantini, Sein Leben und sein Werk, Wien, 1902, Nr. 60.
Nino Barbantini, Giovanni Segantini, Venedig, 1945, o. S.
Gottardo Segantini, Giovanni Segantini, Zürich, 1949, o. S.
Giorgio Nicodemi, Giovanni Segantini, Mailand, 1956, o. S.
Maria Christina Gozzoli, L’opera completa di Segantini, Mailand, 1973, Nr. 218.
Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft (Hrsg.), Die Welt des Giovanni Segantini, Zürich, 1976, S. 51, mit Abb.
Annie-Paule Quinsac, Segantini, Catalogo generale, Mailand, 1986, S. 272, Nr. 354, mit Abb.
Kunsthaus Zürich (Hrsg.), Segantini, Zürich, 1990, S. 126, Nr. 57, mit Abb.
Beat Stutzer und Roland Wäspe, Armonia della vita, armonia della morte, St. Gallen, 1999, Nr. 11, mit Abb.

Ausstellung

Ausstellung Giovanni Segantini, St. Gallen, Kunstmuseum, 1956.
Giovanni Segantini, Zürich, Kunsthaus, 9.11.1990–3.2.1991, Kat. Nr. 57.
Giovanni Segantini, Wien, Belvedere, 1991, o. Nr.
Armonia della vita, armonia della morte, St. Gallen, Kunstmuseum, 1999, Nr. 11.
La Luce Alpina, St. Gallen, Kunstmuseum, 28.9.–11.12.2019, o. Nr.

Giovanni Segantini in Savognin
Nach einer schwierigen und entbehrungsreichen Kindheit wurde Segantini bereits als junger Maler als Ausnahmetalent entdeckt und feierte früh seine ersten grossen Erfolge, sein Abschlusswerk an der Akademie wurde vom italienischen Staat angekauft. Der Künstler malte in dieser Zeit im virtuosen Stil der Scapigliatura und bewegte sich im Umfeld der Künstler dieser Bewegung. Seine malerische Reife und Einzigartigkeit erreichte er jedoch erst mit seinem Umzug nach Graubünden.

Im August 1886 liess sich Segantini mit seiner Familie in Savognin, damals noch ein kleines Bauerndorf im Oberalpstein, nieder. Nach einer längeren Zeit der Unstetigkeit fand er hier Sicherheit und Ruhe für sich und seine Familie. Die unberührte, atemberaubende Landschaft, das intensive, klare Alpenlicht liessen Segantini aufleben, und in Verbindung mit dem legendären Besuch Vittorio Grubicis im Bergdorf überdachte er seine Malweise komplett. Grubici brachte ihn mit den neusten Erkenntnissen der Postimpressionisten in Verbindung und Segantini entwickelte in dieser Zeit seine eigene Form des Divisionismus, eine aufwändige Malweise, bei welcher Strich neben Strich gesetzt wird und sich die Farbe erst auf Distanz im Auge des Betrachters vermischt. Der Künstler blieb acht Jahre in Savognin, und einige seiner wichtigsten Werke sind dort entstanden.

Il reddito del pastore
Im einfachen Leben der Dorfbewohner Savognins fand er die Verbindung zur Natur und den Tieren wieder, die ihn schon früher in den Brianza-Jahren faszinierte und dort sein Hauptthema war. Auch reddito del pastore als Thematik beschäftigte Segantini bereits in seiner Brianza-Zeit. Vom vorliegenden Werk gibt es drei Fassungen von 1883 und 1884, zwei davon sind verschollen, die dritte hängt im Gemeentemuseum in Den Haag. Sowohl sein Sohn Gottardo als auch Annie Paule Quinsac schreiben zu unserem Bild, dass der Maler es früher begonnen, in Savognin jedoch komplett überarbeitet und in seiner neuen Technik des Divisionismus reininterpretiert hat. Die Thematik der Schafschur, die dem Künstler in Italien lieb und wichtig war, kam in Savognin plötzlich zu ungeahnter Aktualität. Im Oberalpstein gilt seit Urzeiten die Savogniner Schafschur zu den grossen alljährlichen Ereignissen, und bis heute wird der Abzug der Schafe von der Alp und ihre anschliessende Schur mit einem grossen Fest gefeiert. Die Hingabe des Hirten wird in eindrücklicher Weise gezeigt, der Ausdruck des Schafs ist von fast hyperrealistischer Übersteigerung und wird zum Sinnbild für das symbiotische Verhältnis von Mensch und Tier. Unser Gemälde ist Ausgangspunkt für eine ganze Anzahl von Werken, welche die Bauern bei ihrer täglichen Arbeit im Umfeld eines Hofes zeigt und für Segantinis Savogniner Zeit typisch ist.

Il reddito del pastore und Ave Maria a trasbordo
Wie Il reddito del pastore war auch das zweite Hauptwerk von Segantinis erstem Jahr in Savognin, das berühmte Ave Maria a trasbordo, die Wiederaufnahme eines Motivs aus der italienischen Zeit. Bei beiden Gemälden identisch werden die Gesichter noch traditionell ausgeführt, während die Umgebung in seiner neuen Malweise in kurzen Pinselstrichen und leuchtenden Farben gemalt ist. Auf diese Weise bekommt das Licht in den Werken eine komplett neue Bedeutung. Identisch in beiden Gemälden ist auch die Ansicht auf die Hauptfiguren hinter den Schafen. Segantini stellt aber nicht nur eine ländliche Genre-Wirklichkeit dar, sondern entwickelt sich in dieser Zeit ebenfalls zu einem der Hauptvertreter des Symbolismus. Wird die Mutter mit Kind zum Ave Maria, zum Sinnbild abendlicher Andacht und Mutterschaft, so kann der Hirte in unserem Gemälde genauso mit dem guten Hirten gleichgesetzt werden. Die beiden Schlüsselwerke spiegeln sehr schön die Dualität von Mutterschaft und Vaterschaft wider.

Der Sammler Eduard Sturzenegger
Eduard Sturzenegger (1854–1932) war einer der erfolgreichsten St. Galler Stickerei-Unternehmer. Nach bescheidenen Anfängen wurden die Broderies Sturzenegger mit grossen und sehr edel ausgestatten Verkaufsflächen, etwa in Zürich, Basel, Genf, St. Moritz, später dann auch in internationalen Grossstädten, zum Inbegriff für höchste textile Qualität. Ab 1903 begann Eduard Sturzenegger mit dem Aufbau einer Kunstsammlung, die zu einer der wichtigsten der Schweiz werden sollte und aus welcher 1930 168 Gemälde als Schenkung ans Kunstmuseum St. Gallen gingen. Dazu gehören bedeutende Werke von Pissarro oder Signac ebenso wie eine Gruppe von Spitzweg oder Feuerbach, die bis heute einen wichtigen Grundstock der Sammlung bilden. Ein kleiner Teil der Bilder verblieb nach Sturzeneggers Tod in Familienbesitz, so auch das Gemälde Il reddito del pastore.